Vom Haar zum Kunstwerk
Dem menschlichen Haupthaar kommt seit jeher eine besondere Bedeutung zu. Es galt als Träger der Lebenskraft, sein Verlust konnte diese rauben. Als pars pro toto steht es für einen Teil des Menschen, der die Person vertreten kann und gleichzeitig unsterblich ist. Dadurch wurde das Haar zu einem Andenken mit großer Wirkkraft. Eltern hören bis heute vielerorts, dass zum Wohle des Kindes der erste Haarschnitt nicht vor dem Ablauf des ersten Lebensjahres erfolgen soll. Kinderlocken finden sich in Medaillons als Glücksbringer und Zeichen der Erinnerung aufgehoben. Haarlocken wurden als Liebespfand überreicht, als wäre es ein Stück von sich selbst. Sie waren Liebenden ein gegenseitig geschenktes Zeichen ihrer Verbundenheit und stellen individuelle, dauerhafte Andenken über den Tod hinaus dar. Ungebrochen ist der ideelle wie monetäre Wert von Locken berühmter Persönlichkeiten. Die große Symbolkraft, die dem menschlichen Haar innewohnt, wird in der Tradition des Aufbewahrens, der Bearbeitung und Verarbeitung in den erhalten gebliebenen Haarbildern sichtbar.
Idealer Werkstoff
Neben Tierhaar ist das menschliche Haar ein idealer Werkstoff, der vielfältig einsetzbar ist und zu zarten wie robusten und unvergänglichen Kunstwerken verarbeitet werden kann. Seit der Barockzeit lässt sich Menschenhaar zur Anfertigung von Schmuck und Zierrat nachweisen. Die Haarbilder in der Sammlung des Volkskundemuseums sind in verschiedenen künstlerischen Techniken ausgeführt: als Stickereien, Klöppelarbeiten, Haarklebebilder und Arrangements mit plastisch gearbeiteten Blüten und Einzelelementen in Schlingen- und Schlaufentechnik. Haarbilder wurden meist aus den eigenen Haaren gefertigt und nur in Ausnahmefällen, wenn nicht genügend eigenes Haar zur Verfügung stand, mit angekauftem Material ergänzt.
Herstellung
Die Kunst des Frisierens und der Perückenmacherei verlor an Bedeutung, als sich die Haarmode am Ende des 18. Jahrhunderts änderte. Die Herstellung von künstlerischen Haararbeiten ermöglichte neue Betätigungsfelder und Verdienstmöglichkeiten. Der erlernte Umgang mit Haaren wurde zur Produktion von Schmuck und Bildwerken genutzt. Haarkünstlerin bzw. Haarkünstler, wie sich diese Personen selbst nannten, war allerdings kein eigener Berufszweig mit Lehrzeit und Meisterprüfung, sondern Teil der Ausbildung zu Friseurinnen und Friseuren. Desgleichen wurden Haarschmuck und Wandbilder aus menschlichen Haaren in häuslicher Handarbeit geschaffen oder in Klöstern auf Bestellung ausgeführt.
Eine solche Haarkünstlerin war etwa Friederike Beyer in Wien, deren Arbeiten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in der Museumssammlung Niederschlag gefunden haben. Die Tochter eines Perückenmachers hatte nach eigenen Angaben bei einem Haarkünstler in Amsterdam gelernt. (o.A. 1844: 94) Bereits 1845 fanden ihre, bei der dritten allgemeinen österreichischen Gewerbs-Produkten-Ausstellung in Wien gezeigten, schön gearbeiteten Haargeflechte und Haararbeiten in Pressemeldungen lobenswerte Erwähnungen. (o.A. 1845: [13]) Sie verfertigte laut Eintrag im Allgemeinen Handels-, Gewerbs- und Fabriks-Almanach für den österreichischen Kaiserstaat für 1848 „alle Gattungen der elegantesten und feinsten Haararbeiten nach dem neuesten in- und ausländischen Geschmack, bestehend in Bildern nach allen Größen und Zeichnungen, Blumenboquets […]“ und versprach darin gewissenhafte Verarbeitung der ihr anvertrauten Haare. (Fray 1848: 419) Die Haararbeiten von Friederike Beyer fanden auch auf der Wiener Weltausstellung 1873 Bewunderung. (o.A. 1873: 117)
Die Anfertigung der Haarbilder bot auch die Möglichkeit eines Nebenverdienstes. Ein Beispiel dafür ist der Wiener Gendarmerie-Patentalinvalide Michael Wipplinger, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Zuverdienst zu seiner Invalidenrente feinste Haarbilder anfertigte. Zwei seiner fein gearbeiteten Erinnerungsbilder befinden sich in der Sammlung des Museums. Dennoch wurden seine in Ausstellungen mehrmals ausgezeichneten Bilder in der Kategorie „Dilettantenarbeiten“ bewertet. (o.A. 1869: 4) Friseurinnen und Friseure haben noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts während ihrer Lehrzeit die kunstvolle Verarbeitung von Menschenhaaren zu Schmuck und Bildern erlernt und sich bis in die zwanziger Jahre an Wettbewerben beteiligt.
Motiv und Funktion
Die in der Biedermeierzeit so gebräuchlichen Trauer- und Freundschaftssymbole – wie sie beispielsweise in den Stammbüchern anzutreffen sind – finden sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Haarbildern der Museumssammlung weiterhin umgesetzt: Trauerweiden, Urnen, Vergissmeinnichtblüten, die Schlange, die ihren eigenen Schwanz verschlingt als Symbol der Ewigkeit. Plastisch gearbeitete Blüten- und Blattkränze wurden in Kastenbilder gesetzt und flache Motive auf Glasplatten geklebt. Neben religiösen Motiven und Heiligendarstellungen runden Landschaftsbilder und idyllische Szenen das Repertoire ab.
Die Stücke, die meist Andenkencharakter haben, stammen durchwegs aus dem 19. Jahrhundert, insbesondere aus der Zeit zwischen 1840 bis 1900, neuere Arbeiten aus dem 1. Drittel des 20. Jahrhunderts. Die ursprüngliche Bedeutung und Funktion der im Volkskundemuseum Wien verwahrten Objekte lässt sich allerdings meist nur noch vermuten. Eine große Gruppe bilden die Erinnerungsbilder, da die Motive zu Freundschaft, Liebe, Hochzeit oder Jubiläum sehr ähnlich sind und ohne nähere Informationen die Unterscheidung schwer fällt. Die Totengedenkbilder weisen meist Grabsteine unter Trauerweiden, Grabinschriften, Namen und Sterbedaten auf. Seit dem Aufkommen der Fotografie werden Porträtaufnahmen in die Haarkompositionen eingebettet. Die Stücke, die meist Andenkencharakter haben, stammen durchwegs aus dem 19. Jahrhundert, insbesondere aus der Zeit zwischen 1840 bis 1900, neuere Arbeiten aus dem 1. Drittel des 20. Jahrhunderts. Die ursprüngliche Bedeutung und Funktion der im Volkskundemuseum Wien verwahrten Objekte lässt sich allerdings meist nur noch vermuten. Eine große Gruppe bilden die Erinnerungsbilder, da die Motive zu Freundschaft, Liebe, Hochzeit oder Jubiläum sehr ähnlich sind und ohne nähere Informationen die Unterscheidung schwer fällt. Die Totengedenkbilder weisen meist Grabsteine unter Trauerweiden, Grabinschriften, Namen und Sterbedaten auf. Seit dem Aufkommen der Fotografie werden Porträtaufnahmen in die Haarkompositionen eingebettet.
Nora Witzmann
Kuratorin der Sammlung Bild–Druck–Papier
23.04.2025
Literatur: