Sterbe…was?
Sterbeandenken sind meist zwei-, später auch vierseitige Papierkärtchen. Ursprünglich war die eine Seite dem Totengedenken gewidmet und die andere Seite der Andacht oder Heiligen. Im Deutschen haben diese Kärtchen viele Namen. Je nachdem, wo man sich in Deutschland, Österreich oder der Schweiz befindet, werden sie auch Sterbebild(chen), Totenbild, Trauerbild, Trauerzettel, Sterbezettel, Totenzettel oder Leidzettel genannt.
Seit dem 17. Jahrhundert in Amsterdam und Umgebung in Verwendung, breiteten sich Sterbeandenken im Zuge der Gegenreformation im 19. Jahrhundert immer weiter in die katholisch geprägten Teile Europas aus. Sie hatten zum einen die Funktion, die Hinterbliebenen nach der Beisetzung aufzufordern, mittels Fürbitten für die dahingeschiedenen „armen Seelen“ zu beten (vgl. ÖMV/10432) und zum anderen sind es kleine gegenständliche Erinnerungen an verstorbene Menschen. Sterbeandenken werden vielerorts bis in die Gegenwart – in der Regel nach der Beisetzung – von den Angehörigen, dem Bestatter oder dem Mesner als Dank für die Anteilnahme ausgegeben oder zur freien Entnahme angeboten.
Anfänglich wurden die mit einem Bild bedruckten Kärtchen händisch beschrieben, wie bei diesem Beispiel (vgl. AÖMV/15836) aus der sog. Sammlung Gugitz zu sehen ist, später wurde auch der Text aufgedruckt (vgl. ÖMV/10220). Es gab bei Verlagen und Druckereien, die Sterbeandenken anboten, eine Auswahl an christlichen Andachts- und Heiligenmotiven mit leerer Rückseite. Diese wurden von Druckereien oder Buchbindereien vor Ort auf Bestellung individuell bedruckt. Solche Blankostücke befinden sich ebenfalls in der Sammlung (vgl. ÖMV/10934). Die gleichen Motive wurden für verschiedene Sterbeandenken verwendet (vgl. z. B. ÖMV/10133 und ÖMV/10167). Sterbeandenken jüngeren Datums zeigen, dass seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert die Verschränkung mit Heiligen- oder Andachtsbildern und Fürbitten mehr und mehr verschwindet. Das Gedenken an die Verstorbenen ist im Laufe der Zeit individueller geworden. Ebenso geht die Verwendung von schwarzen und silbernen Trauerrändern als grafisches Stilmittel immer mehr zurück. Teilweise wird heute ganz auf religiöse Zeichen verzichtet.
Nicht alle Angehörigen konnten es sich im 19. und 20. Jahrhundert leisten, Sterbeandenken anfertigen zu lassen. Dementsprechend fehlten – in der Vorstellung – den Toten die damit angespornten Ablassgebete (Vgl. ÖMV/10115, „Mein Jesus, Barmherzigkeit. (100 Tage Ablass.)“), was laut damaligem römisch-katholischem Glauben die Zeit im Fegefeuer verlängerte. Und den Lebenden fehlte ein Erinnerungsstück. Sterbeandenken sind seit ihrer Entstehung auch Statussymbole. Anfänglich wurden sie beim Ableben einer geistlichen, amtlichen oder finanzkräftigen Persönlichkeit angefertigt. Den patriarchalen Strukturen geschuldet handelte es sich dabei vielfach um Männer. Mit der Zeit wurde diese Praxis von einer breiten katholischen Bevölkerungsschicht aufgegriffen und bis in die Gegenwart fortgeführt.
Teilweise gab es verschiedene Ausführungen von Sterbeandenken zu einer Person. Das angenommene Näheverhältnis war z. B. dafür ausschlaggebend, ob man ein Andenken mit oder ohne Portrait des/der Verstorbenen erhielt. Wenn Ehepartnerinnen bzw. Ehepartner oder Geschwister innerhalb kurzer Zeit verstarben, kam es vor, dass an beide mit einem gemeinsamen Sterbeandenken erinnert wurde (vgl. ÖMV/10383 und ÖMV/10387). Es wurden mitunter auch in diesem Fall mehrere Varianten angefertigt, beispielsweise eines zur Einzelperson und ein gemeinsames Sterbeandenken (vgl. ÖMV/10704 und ÖMV/10705).
Vorangetrieben wurde die Ausdehnung der Sterbeandenken im Laufe des 19. Jahrhunderts u. a. durch die steigende Alphabetisierung nach Verbreitung der Schulpflicht in Europa sowie durch Kriege. Beispiele für letzteres sind der Preußisch-Österreichische Krieg (1866), der Erste Weltkrieg (1914–1918) oder der Zweiten Weltkrieg (1939–1945). Grund für die Popularisierung während eines Krieges waren die vielen toten Soldaten – daher auch die zeitweise geläufige Bezeichnung „Gefallenenbildchen". In den meisten Fällen wurden die Gefallenen an unbekannten Orten oder auf Soldatenfriedhöfen weit weg von den trauernden Hinterbliebenen begraben. Ein Beispiel (vgl. AÖMV/10064, „Auch in fremder Erde wird er ruhig schlafen.“) findet sich in einem anderen Konvolut von Sterbeandenken des Volkskundemuseum. Ein Sterbeandenken war daher oftmals das einzige Gegenständliche, was nach dem Tod eines Soldaten zur Erinnerung blieb. Im Volkskundemuseum Wien sind nur sehr wenige Sterbeandenken von Soldaten vorhanden. Aus den zwei Weltkriegen gibt es in der Sammlung von Schwarzbach keine Beispiele.
Lebensspuren als Quellen
Neben Vor- und Familiennamen und den Todesdaten bzw. Sterbealtern ist auf Sterbeandenken weiteres Wissen zu Personen konserviert, beispielsweise
o Geburtsjahr oder -datum, Geburtsname (vgl. ÖMV/10097, „geb. Auer“),
o Beruf (vgl. ÖMV/10056, „Austragsbauer“),
o Besitzungen (vgl. ÖMV/10082, „Besitzerin am Schiederergutes der Pfarrei Gilgenberg“),
o Familienstand (vgl. ÖMV/10263, „Jungfrau“),
o Anzahl der Nachkomminnen und Nachkommen (vgl. ÖMV/10772, „6 Kinder“),
o (Pfarr)Gemeindezugehörigkeit (vgl. ÖMV/10630, „Pfarre St. Georgen“),
o Wohnort (vgl. ÖMV/10732, „Inwohner im Pirkhamerhäusl“),
o Todesursache (vgl. ÖMV/10224, „durch Verschütten“)
o und Todeszeitpunkt (vgl. ÖMV/10318, „½10 Uhr Abends“).
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden – wenn man wollte und es sich leisten konnte – auf Sterbebildchen auch Portraitfotos angebracht (vgl. ÖMV/10812). Daher besteht die Chance, dass ein Foto von einer Person mittels Sterbeandenken überliefert wurde. Es handelt sich oftmals um das einzige Bild dieser Person, das erhalten geblieben ist. Von den vielen Sterbeandenken im Volkskundemuseum sind allerdings nur wenige mit einem Foto versehen.
Im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts war es üblich, Sterbeandenken, nach dem Erhalt bei einer Beerdigung, langfristig zu verwahren. Häufig ist es heute dem Zufall und dem Sammeleifer einzelner zu verdanken, dass Sterbeandenken aus vergangenen Jahrhunderten erhalten blieben. Besonders begehrt sind die Lebensdaten Verstorbener und das damit möglicherweise überlieferte Bildmaterial, wenn es darum geht, die eigene Familiengeschichte zu rekonstruieren und man auf der Suche nach den eigenen Vorfahrinnen und Vorfahren ist. In diesem Zusammenhang wurden einige Privatsammlungen von Sterbeandenken mit regionalem Fokus angelegt. Viele dieser Sammlungen werden laufend erweitert und sind heute über Webseiten öffentlich zugänglich. Ebenso auf Grund von volkskundlichen, mentalitäts- oder regionalgeschichtlichen Forschungsinteressen wurden Sterbeandenken gesammelt. Die auf den Kärtchen befindlichen Informationen lassen unterschiedliche Untersuchungen zu – z. B. eine ikonografische oder textbasierte Analyse. Letzterem widmete sich Josef Schwarzbach mittels seiner Sammlung.
Sterbeandenken (Salzburg, 19. Jahrhundert) gesammelt von Josef Schwarzbach
Josef Schwarzbach wurde 1853 in Jablonec nad Nisou (deutsch Gablonz an der Neiße, Böhmen) im heutigen Tschechien geboren. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1875 übersiedelte er mit seiner Familie nach Salzburg, wo er schließlich die k. k. Lehrerbildungsanstalt abschloss. Nach mehreren Anstellungen an verschiedenen Schulen wurde er 1882 in die Gemeinde St. Georgen bei Salzburg als Schulleiter berufen. Schwarzbach war nebenberuflich als Autor tätig und verfasste u. a. Romane, Biografien, Fachbücher und Liedtexte, engagierte sich in der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde und im Salzburger Landesmuseum. Er hatte außerdem Verbindungen ins Volkskundemuseum Wien. In seinem Nachruf im Salzburger Volksblatt vom 19. Dezember 1896 steht dazu geschrieben:
„Mit dem Verein für österreichische Volkskunde stand er in regem geistigen Verkehr. Eine seiner letzten schriftstellerischen Thaten [sic!] bildete eine Zusammenstellung von Versgrabschriften auf Denkmälern und Todtenbildchen [sic!] im Salzburgischen.“
Der genannte Beitrag von Josef Schwarzbach mit dem Titel „Todtendichtung“ wurde 1896 in der vereinseigenen „Zeitschrift für österreichische Volkskunde“ (heute „Österreichische Zeitschrift für Volkskunde ÖZV“) veröffentlicht. Darin geht er auf einige Textpassagen, Verse und Sprüche ein, welche auf 200 Sterbeandenken aus St. Georgen und Umgebung zu lesen waren. Ob diese 200 Stück den Grundstock seiner Sammlung ausmachten und Teil des Konvoluts im Volkskundemuseum sind, kann nur vermutet werden. Jedenfalls wurde mit der Todesnachricht von Josef Schwarzbach in der „Zeitschrift für österreichische Volkskunde“ (Jahrgang 1897) die „Zurverfügungstellung“ von „über 1000 Stück“ verlautbart. Daneben wurde im „Anzeiger des Vereins für österreichische Volkskunde“ (Jänner 1897) ein Nachruf zu Schwarzbach veröffentlicht. Darin ist die Rede von 1.200 Sterbeandenken, die das Museum „bereichern“. Warum bis heute nur 985 Bildchen inventarisiert wurden und auffindbar sind, ist allerdings nicht bekannt. Zwei weitere Texte zu Sterbeandenken folgten posthum in der „Zeitschrift für österreichische Volkskunde“ im Jahrgang 1899 unter den Titeln „Totendichtung II. und „Totendichtung II. (Schluss)“, herausgegeben und kommentiert von Arthur Petak (1870–1945), ebenfalls Lehrer sowie Mitglied im Verein für österreichische Volkskunde. Im ersten Teil des Beitrages versucht Schwarzbach anhand seiner Sammlung eine kurze allgemeine kulturhistorische Einordnung von Sterbeandenken. Er gibt zudem Auskunft über die gängige Praxis des Verteilens, bevor er sich wieder der textlichen Ebene zuwendet, was im zweiten und letzten Teil fortgeführt wird. Co-Autor Petak kategorisiert in beiden Beiträgen die ausgewählten Textpassagen von Schwarzbach u. a. danach, ob sie sich an die Trauernden oder die Verstorbenen wenden. Petak setzte sich auch selbstständig in einigen Beiträgen sowie in eigenen Publikationen mit dem Thema Totengedenken auseinander. Zwei Beispiel sind „Die Kindergräber von Ottensheim“ in der „Zeitschrift für österreichische Volkskunde“ (Jahrgang 1898) und „Grabschriften aus Österreich“ als Supplementheft der „Zeitschrift für österreichische Volkskunde“ (1904).
Maria Raid
Kuratorin Sammlung Textilien und Bekleidung, Holzsammlung, Provenienzforschung & Restitution
2. September 2025
Weiterführende Literatur zum Thema Sterbeandenken: