Sammlungsaufruf
Die Gründungsdirektoren Michael Haberlandt und Wilhelm Hein warben dafür aktiv bei Sammlerinnen und Sammlern und Amateurfotografinnen und Amateurfotografen im volkskundlichen Netzwerk Fotografien ein, hier besonders auch über die vielen sich gerade bildenden Vereine, wie den Verein Skioptikon (siehe Album „Die ersten 1.000 Dias“), den Wiener Camera-Club, den Alpenverein oder den Architektenverein.
In den 1896 und 1898 publizierten Aufrufen in der Zeitschrift für österreichische Volkskunde (siehe Haberlandt 1896 und o.A. 1898) baten sie Amateurfotografinnen und Amateurfotografen um ihre „einschlägigen Arbeiten“ von „Land und Leuten“ (tatsächlich vom Ländlichen, kaum aus der Stadt) und erhofften sich, dass diese „die Volkskunde durch fleißige Aufnahmen volkskundlicher Objekte unterstützen wollen“. Bereits hier lassen sich Schwerpunkte der sich damals etablierenden Wissenschaft bzw. dem populär werdenden Interessensgebiet Volkskunde herauslesen: Eingeworben wurden Fotografien von Typen-, Siedlungs- und Hausforschung, Landwirtschaft, Bräuchen sowie Landschaften der Regionen der ehemaligen Habsburgermonarchie, wofür schon die ersten Inventarnummern aus dem Positiv-Inventarbuch, „36 Aufnahmen von Dorf- und Hausansichten, Volkstypen und Straßenscenen aus der Bukowina, aufg. von Herrn Custos J. Szombathy, Sommer 1894." (siehe o.A. 1895; Josef Szombathy war Kollege von Michael Haberlandt am k.k. naturhistorischen Hofmuseum), beispielhaft stehen.
Netzwerk
Das große Netzwerk an Forscherinnen und Forschern, Fotografinnen und Fotografen sowie Vereinen, vornehmlich aus der cisleithanischen Hälfte der Habsburgermonarchie, lässt sich beim Durchblättern des ersten Inventarbuches der Fotosammlung erahnen. Es sind unzählige Namen zu lesen, von Fotoateliers und Mitgliedern des Vereins für Volkskunde: von den Berufsfotografen Eduard von Schiller aus Czernowitz und Julius[z] Dutkiewicz aus Kolomea, vom „Fotografischen Kunstverlag“ Otto Schmidt aus Wien, von mehr als 20 (Gründungs-)Mitgliedern, wie den Lehrern Karl Reiterer aus Weißenbach bei Liezen und Josef Taubmann aus Krausebauden, Böhmen, von fotografierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wie Wladimir S[z]uchiewicz aus Lemberg, der Volkskundlerin Marie Eysn, von Ärzten und Architekten wie Carl A. Romstorfer und betuchten Amateurinnen und Amateuren, welche das gemeinsame Interesse an der Ethnologie verband.
Die geografische Streuung war groß, überall wurde produziert und gesammelt, ob in Ragusa, Innsbruck, Czernowitz oder dem Riesengebirge. Das Museum profitierte natürlich auch von den zeitgleich mit seiner Gründung einhergehenden gewaltigen Fortschritten der fotografischen Reproduktionstechniken und dem zunehmenden Umlauf – wenngleich die Fotografie auch in dieser Zeit noch eine kostspielige, elitäre, klassen- und auch geschlechterspezifische Angelegenheit blieb.
Entstehung und Nutzung der Fotosammlung des Österreichischen Museums für Volkskunde
Die Namen der Überbringerinnen und Überbringer sowie auch der Modus des Erwerbs, d.h. Schenkung an oder Ankauf über die Gründungsdirektoren (im beschriebenen Bestand ca. gleich verteilt), wechseln fortlaufend. Das lässt annehmen, dass die Fotografien in den ersten Jahren so wie sie ins Museum kamen – also weniger systematisch als chronologisch – inventarisiert wurden. Hier lässt sich einiges über die frühe Sammlungs- und auch Museumsarbeit ablesen, die sich bis heute auf die Arbeit mit und über diese Bestände auswirkt. Die im Inventarbuch eingetragenen Informationen zu den Bildern sind oft spärlich, oft beschränkt auf das Offensichtlichste oder auf das, was die Eintragenden (in diesen Jahren wohl vornehmlich Michael Haberlandt als Direktor und Julius Thirring als Bibliothekar) sehen wollten. Dies erfordert bis heute anhaltende Recherchen. Bis 1900 wurde vergessen, das Jahr der Inventarisierung einzutragen. Das erste Inventarbuch der Fotosammlung ist aber auch auffällig „lebendig“ mit seinen vielen Änderungen, Durchgestrichenem, Überschriebenem oder Nachgetragenem. Wir können ahnen, dass die Gründungszeiten aufregend waren, Dinge ständig überdacht wurden, aber auch keine Zeit für Tiefergehendes blieb.
Wichtig zu berücksichtigen sind hier auch die Zuordnung und Funktion der Fotosammlung: Sie wurde noch lange Zeit nach Gründung gemeinsam mit der Bibliothek betreut, wovon der Bibliotheksstempel auf vielen Bildern zeugt. Wie überall im Museum, das erst 1917 mit dem Einzug ins Gartenpalais Schönborn seinen bis heute festen Standort erhielt, gab es Platzprobleme und die Aufbewahrung der Fotografien war fern von fotogerecht nach heutigen Standards. Der damalige Bibliothekar des Museums, Julius Thirring, hielt dies für „unhaltbare Zustände“. Und dies, obwohl es sich bei der Fotosammlung doch genau genommen um gar keine Sammlung im zeitgenössischen Verständnis handelte, da die Fotografien noch nicht als schützenswerte Objekte gesehen wurden. Sie dienten dem Gebrauch und der Illustration, es wurde „großzügig“ mit dem „Material“ umgegangen. Viele Spuren weisen auf ein intensives Handling zu Reproduktionszwecken für Publikationen und Vorträge hin: Verluste am Untersatzkarton, Knicke, Fingerabdrücke, angestoßene Kanten. Die Bilder sind ausgeblichen, wellig, besitzen Stockflecken, Abschabungen auf der Gelatineschicht (pos/1 bis 42, pos/106/001-037) oder Stempelabdrücke im Bild (pos/214). Sie wurden stark retuschiert, auffällig manipuliert (pos/106/019), Anleitungen zur Publikation wurden direkt ins Bild geschrieben (pos/482).
Einen Bruch in der Ordnung und Aufbewahrung der Fotosammlung stellte eine Maßnahme in den 1950er Jahren dar: Im Zuge neuer Archivierungsstrukturen klebte man die Fotografien auf A4-Archivkartons und bewahrte diese in 100er Schritten in Ordnern auf. Wenn die Untersatzkartons zu viel Raum, d.h. Tiefe, einnahmen, wurden sie auf der Rückseite abgespalten. Neben dem Materialverlust bedeutete dies einen erheblichen Informationsverlust. So sehr diese Nutzungen die Fotoobjekte an sich beschädigt haben, so sehr geben sie auch Aufschluss und Hinweise, wie in diesen Jahren in und mit der Fotosammlung gearbeitet und geforscht wurde.
Was wurde gesammelt und warum?
Das am häufigsten vorkommende Format ist das der Carte de Cabinet (14,5 x 10 cm), gefolgt von der Carte de Visite (9 x 5,5 cm). Großformate und aufwendig gestaltete Mappenwerke gibt es in diesem Konvolut nur wenige, wie etwa Marianne Strobls „Typen der Landesfuhrwerke aus der Internationalen Ausstellung Wien – 1894“ (pos/108/000) oder das Fotoalbum von der Galizischen Landesausstellung in Lemberg 1877 von Wilhelm Exner (pos/105/000). Bemerkenswerterweise findet sich die Daguerreotypie nicht ein einziges Mal in den frühen Inventarnummern der Fotosammlung – wohl aufgrund der Plastizität und des Materials des Fotoobjektes (versilberte Kupferplatte) wurde sie als Unikat behandelt und in die damals sogenannte Hauptsammlung des Museums aufgenommen. In Cyanotypie-Technik wurde ein Bestand an böhmischen Hausaufnahmen (pos/1037-1048) aufgenommen. Postkarten und Druck spielen im frühen Positivbestand, im Vergleich zu späteren Inventarnummern, fast keine Rolle.
Wie auch in anderen Sammlungen wurden die Fotoobjekte mit der Intention gesammelt, das für eine Region oder Ethnie Typische festzuhalten. Die Verwissenschaftlichung volkskundlicher und ethnografischer Forschung zeigt sich auch in der Typisierung und Kategorisierung. Mit der territorialen Zuordnung, ob beim Fotografieren, Sammeln oder spätestens beim Publizieren, hatten die Beteiligten damit einen nicht unerheblichen Anteil an der Konstruktion und späteren Popularisierung des „Eigenen“ und des „Anderen“ in dieser Zeit und beeinflussten deren spezifische Wahrnehmung (siehe Album „Positive aus Galizien und der Bukowina“ und Ausstellungskatalog „Gestellt. Fotografie als Werkzeug in der Habsburgermonarchie“). Die Hälfte des Positivbestands bis 1905 machen typisierende Personendarstellungen aus, entweder aus dem Studio oder von Feldaufnahmen aus Ost- und Zentraleuropa, davon 60 % aus Galizien und der Bukowina (Fotografen Julius Dutkiewicz, Eduard von Schiller und Carl A. Romstorfer). Weitere solcher Darstellungen kamen aus Tirol (die Tiroler Trachtenbilder der Fotografen Friedrich Bopp und C.A. Czichna als Souvenir und Sammelobjekt für Steckalben), aber auch aus Mähren, Oberösterreich, Dalmatien und Istrien. Oft wurden die gleichen „Typen“darstellungen in unterschiedliche Zusammenhänge eingebunden. Das war möglich, weil die Fotografien – wie sich in den Beständen nachweisen lässt – stark retuschiert wurden, wobei der Hintergrund mit weißer Farbe abgedeckt und die Person damit isoliert und getrennt vom Umfeld gezeigt wurde (pos/310, pos/416). Nur ein verschwindender Teil des Bestands sind Porträts mit überlieferten Namen der abgebildeten Personen (pos/167, Georg Strobl und sechs weitere).
Besonders Mitglieder des Vereins für Volkskunde, der bis heute der Trägerverein des Volkskundemuseum Wien und Besitzer der Sammlungen ist, nutzten den Vorteil der Fotografie, festzuhalten, was nicht mitzunehmen oder zu sammeln war. Das waren zum einen Phänomene immaterieller Kultur (Bräuche, Feste), aber auch Topografien und Hausaufnahmen. Als Beispiele für „Volksschauspiele“ seien 30 Fotografien (speziell zwischen pos/120 und pos/501) erwähnt, die Karl Reiterer aus Weißenbach bei Liezen von nachgestellten Bauernhochzeiten, Hirten- und Nikolospielen im Ennsthaler Gebiet einbrachte oder Faschingsszenen aus Aussee (Fotograf Michael Moser). Hierbei soll auch darauf hingewiesen werden, dass Fotografien zu diesem Zeitpunkt in Publikationen entweder direkt als Abdruck, oft jedoch auch als Vorlage für eine Zeichnung verwendet wurden, um die Texte zu illustrieren. In dieser Zeit schrieb man Zeichnungen hinsichtlich Glaubwürdigkeit noch eine höhere Nachweiskraft als Fotografien zu. Hier kann das pos/482 angeführt werden, das für eine Publikation von Karl Reiterer verwendet wurde. Die Anweisungen für das Anfertigen der Zeichnung wurden direkt auf das Bild und die Rückseite geschrieben.
Ein gutes Beispiel für Hausaufnahmen sind jene der Alpenländer vom Kunstverlag Otto Schmidt (pos/639-674). Bei den Hausaufnahmen aus Galizien und der Bukowina wechseln sich diese in Serien häufig mit den o.g. typisierenden Personendarstellungen ab (pos/1-42, pos/682-787). Aufnahmen von Flurdenkmälern und Zäunen finden sich in den pos/327/001-347/002 (Tiroler Zaunaufnahmen von Marie Eysn).
Im Vergleich zu späteren Positivnummern noch wenig vertreten ist die Objektfotografie von Objekten aus den Sammlungen des Volkskundemuseum Wien: Hier wären etwa Masken (pos/368), böhmische Keramik (pos/398-404), Böhmerwaldspitzen und dalmatinische Spinnrockstäbe (pos/1009-1032) anzuführen. Ebenso gibt es Objektaufnahmen aus anderen Museen (Museum Francisco Carolinum, Linz) oder von Privatpersonen (pos/137-164). Nur eine einzige Aufnahme stammt aus dem Inneren des Museums, damals im Gebäude der Wiener Börse, Wipplingerstraße 34 (pos/367).
Auch das soziale Vereinsleben zeigt sich in diesen ersten Positivnummern, wenn die „Wanderversammlung“ nach Gloggnitz am 10. Mai 1896 dokumentiert wird, die damit die erste Exkursion des Vereins für österreichische Volkskunde in einer langen und vielfältigen Reihe von Aktivitäten abbildet (pos/181-188).
Querverweise zwischen den Positivnummern und anderen Objekten der Fotosammlung ergeben sich durch Mehrfachnutzungen in unterschiedlichen Formaten, die bei der detaillierten Erforschung der Sammlungsgenese zutage treten: Viele der frühen Positivnummern wurden spätestens ab 1905 über Negative und Diapositive reproduziert und für Veröffentlichungen und Diavorträge im Volksbildungshaus Urania in Wien genutzt (siehe Alben „Die ersten 1.500 Negative“ und „Die ersten 1.000 Dias“).
Astrid Hammer
Kuratorin der Fotosammlung
8.12.2024
Literatur:
Hein, Wilhelm: Das Huttlerlaufen. In: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 9/1899, S. 109-123, hier S. 117, Abb. 3.
Justnik, Herbert (Hg.): Gestellt. Fotografie als Werkzeug in der Habsburgermonarchie. Wien 2014.