Forstner, Leopold: Zeichnungen
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Bleistiftzeichnungen von Leopold Forstner

Die 29 Bleistiftzeichnungen entstanden zwischen April 1917 und Mai 1918. Leopold Forstner war in diesem Zeitraum im Auftrag der k. u. k. Heeresverwaltung als Sammeloffizier in den von Österreich-Ungarn besetzten Balkangebieten unterwegs.

Abdurrahman-Pasha-Moschee im Stadtzentrum von Peqin© Volkskundemuseum Wien / Foto: Birgit&Peter Kainz, faksimile digital, CC BY 4.0

Leopold Forstner, Grafiker, Maler und Kunstgewerbler, insbesondere auf dem Gebiet der Mosaik- und Glaserzeugung, wurde im August 1915 zum Kriegsdienst einberufen, dessen Antritt er aber aus betrieblichen Gründen hinauszögern konnte. Ab September 1916 war er dann im Auftrag der k. u. k. Heeresverwaltung als Sammeloffizier in den von Österreich-Ungarn besetzten Balkangebieten unterwegs, zunächst um für das Heeresmuseum bei den Besatzungstruppen improvisierte medizinische Instrumente und Transportmittel zu sammeln. Schon bald folgte ein Sammelauftrag für das Museum für österreichische Volkskunde, der Gebrauchsgegenstände, Erzeugnisse des Handwerks und der Hausindustrie umfasste. Arthur Haberlandt, der als vom k. u. k. Unterrichtsministerium beauftragter Ethnograf an der von Mai bis August 1916 durchgeführten „Kunsthistorisch-Archäologisch-Ethnographisch-Linguistischen Balkanexpedition“ teilgenommen hatte, sah in dieser von oberster militärischer Stelle bewilligten Sammelreise eine höchst willkommene Möglichkeit, die vom Balkan stammenden Bestände des Museums zu erweitern, wie er in einem undatierten Brief an die Staatskommission für Rücklieferungen ausführte, zumal die Teilnehmer der Balkanexpedition Ankaufsverbot für Kunstdenkmale erhalten hatten: „Um die Lücken in der Museumssammlung /Primitivobjekte/ aufzufüllen wurde im Jahre 1917 mit Herrn Akad.Maler Forstner des Kriegspressequartiers verhandelt, der hiezu von der obersten Militärbehörde Genehmigung und Unterstützung erhielt in der Art, dass im [sic] das Ausfassen besonderer Artikel namentlich Tücher zu Tauschzwecken bewilligt wurde.“

Forstner beschrieb den Zweck seiner Sammelreise in seinem Beitrag „Studien in Albanien und Mazedonien“ wie folgt: „[…] nicht nur die Lebensverhältnisse und -bedürfnisse der Balkanbevölkerung unserer Öffentlichkeit vorzuführen, sondern ihr auch zu zeigen, wieviel eigener handwerklich wertvoller und zugleich künstlerisch bemerkenswerter Besitz dort schon vorliegt, auf dem es in Zukunft für die westeuropäische Zivilisation zu fußen und aufzubauen gilt. Die Grundlage und Voraussetzung jedweder gedeihlichen kulturellen Arbeit und Verwaltung ist die genaue Kenntnis der betreffenden Bevölkerung, ihrer angestammten Eigenart in leiblicher und geistiger Hinsicht, ihrer Arbeit und Kunstfertigkeiten, ihres Handels und Wandels, kurzum ihrer ethnographischen Besonderheiten.“ (Forstner 1918: 349-350) Zum Kontext der musealen und wissenschaftlichen Praxen im Kriegsgeschehen des Ersten Weltkriegs sowie den persönlichen und institutionellen Positionierungs- und Etablierungsversuchen der Wiener Volkskunde im Umfeld eines k. u. k. Binnenkolonialismus siehe insbesondere Marchetti (2013).

Forstner bereiste daraufhin Albanien, Serbien, Montenegro und den hauptsächlich albanisch bewohnten Teil Mazedoniens, neben seiner Sammeltätigkeit fertigte er auch zahlreiche Bleistiftzeichnungen mit topografischen Darstellungen, städtischen und landwirtschaftlichen Gebäuden, Webstühlen und „Volkstypen“ an. Nicht nur das Volkskundemuseum profitierte von den Ergebnissen seiner Unternehmungen, auch das Technische Museum für Industrie und Gewerbe meldete in einem Brief an das Museum für österreichische Volkskunde vom 31. Juli 1917 Interesse an technischen Sammelstücken an. Forstner lieferte außerdem an das Österreichische Museum für Kunst und Industrie, wie er in seinem Beitrag ausführt: „In Österreich und speziell in Wien ist die Aufgabe, an der Erschließung der Balkangebiete mitzuarbeiten, eine allgemeine Aufgabe aller in Betracht kommenden Anstalten, daher ersuchte mich die Direktion des Österreichischen Museums, auch für dieses Institut einiges typisch Kunstgewerbliches der Balkanländer zu erwerben.“ (Forstner 1918: 350) So besitzt das MAK - Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst u.a. 58 Zeichnungen von Leopold Forstner.

Den Datierungen der Zeichnungen bzw. der Korrespondenz, die sich in der Sammlungsdokumentation des Volkskundemuseums befindet, folgend konnten vorläufig folgende Aufenthaltsorte Forstners rekonstruiert werden:

April 1917: Rijeka/Rijeka Crnojevića (25.4.), Skutari/Shkodra (30.4.)

Mai 1917: Shkodra (1. und 2.5.), Pekinje/Peqin (13. und 14.5.), Elbasan (16. und 19.5.)

Juni 1917: Shkodra (8.6.)

September 1917: Shkodra (September), Mitrovica/Kosovska Mitrovica oder Sremska Mitrovica [?] (September), Belgrad (4. und 24.9.), Valjevo (18.9.)

Ende September 1917: Stockerau (27.9.), Wien (29.9.)

Oktober 1917: Montenegro (Oktober), Tirana (Oktober), Shkodra (9. und 25.10.), Rijeka Crnojevića (16. und 29.10.)

November 1917: Alessio/Lezha (November), Bojana/Buna (1.11.), Tirana (8.11.), Shkodra (19. und 23.11.), vermutlich Durazzo/Durrës

Februar 1918: Shkodra (20.2.)

März 1918: Shkodra (7. und 16.3.)

April 1918: Prizren (April), Üsküb/Skopje (23. und 25.4.)

Mai 1918: Prilep (9.5.), Ochrida/Ohrid (18.5.)

Die 29 tw. kolorierten Bleistiftzeichnungen, die sich mit den Inventarnummern AÖMV/4.243-4.254 und AÖMV/8.085-8.101 im Volkskundemuseum befinden, wurden zwischen Ende April 1917 und Mai 1918 angefertigt. Sie stammen aus Mitrovica, Valjevo, Skutari, Alessio, Tirana, Pekinje, Elbasan, Üsküb und Ochrida. Forstner erfuhr nach eigenen Angaben als Künstler in jenen Ländern reiche Anregung, und die vielen Zeichnungen „sollen vor allem dartun, daß trotz aller Ungebundenheit in der Lebensführung, in der Armseligkeit der Bevölkerung, in jedem Einzelnen ein kräftiges Können steckt. Für die Zukunft muß letzteres gefördert werden, um diese Bevölkerung einer neuen und höheren Entwicklung zuzuführen.“ (Forstner 1918: 350)

Einen ersten Teil, nämlich die Zeichnungen aus Valjevo, dürfte Forstner zusammen mit den Objektsammlungen aus Serbien bereits Ende September 1917 ins Museum geliefert haben, wie aus einem Schreiben aus Stockerau vom 27. September 1917 hervorgeht. In einem weiteren Brief aus Rijeka vom 29. Oktober 1917 teilte Forstner dem Kaiser Karl-Museum mit: „Die in Aussicht gestellten Zeichnungen konnte ich deswegen nicht schicken, da sie mit sehr weichen [sic] Bleistift gezeichnet sind u. in Ermangelung von Fixatio war es nicht möglich sie zu verpacken ohne daß sie Schaden genommen hätten. Bei meinem nächsten Wiener Aufenthalt, werde ich alles nachholen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß auch die in Ihren Händen befindlichen Zeichnungen nicht fixiert sind u. sich leicht verwischen.“ Die zweite Lieferung musste Ende 1917 erfolgt sein, da in der Zeitschrift für österreichische Volkskunde bereits bei der im Dezember 1917 erfolgten Ankündigung der Ausstellung „Zur Volkskunde der besetzten Balkangebiete“ von „zahlreichen (66) meisterhaften zeichnerischen und aquarellistischen Aufnahmen des Herrn Fähnrichs Leopold Forstner“ die Rede ist (o.A. 1917: 132), wobei diese Zahl auch die Zeichnungen, die dann in die Bestände des Museums für Kunst und Industrie gelangt sind, beinhaltet. Im Bericht für das erste Quartal 1918 findet dann die Erwerbung von „26 Zeichnungen ethnographischen und technologischen Inhalts“ (o.A. 1918b: 80) durch das Volkskundemuseum seine Bestätigung.

Bei der Auswahl der Motive orientierte sich Forstner tw. an den von Arthur Haberlandt während der Balkanexpedition besuchten Orten und dort gemachten fotografischen Aufnahmen bzw. an den in Haberlandts Publikation „Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Volkskunde von Montenegro, Albanien und Serbien“ angeführten handwerklichen und landwirtschaftlichen Tätigkeiten bzw. dokumentierten Trachten und Gebäudedetails. So illustriert beispielsweise AÖMV/8.085 die auf S. 42 dieser Publikation beschriebene Fischerei auf der Bojana, die Zeichnungen einer albanischen Ölmühle (AÖMV/8.086) und einer Ölpresse (AÖMV/8.087) korrespondieren mit den auf S. 50 und 51 abgedruckten Haberlandt’schen Fotografien einer Olivenquetsche und einer Ölpresse in Skutari. Ölmühle und Ölpresse erwähnte Forstner auch in einem Brief aus Skutari vom 9. Oktober 1917: „Gezeichnet habe ich schon viel und darunter bestimmt Sachen, die das Museum interessieren werden. z.B. [sic] Ölmühle u. Ölpresse, alles komplett. eine [sic] ganz eigentümliche Mühle. Die Stoffstampfe bei Rijeka wollte ich auch gerne haben, ich kam hin, sie ist aber leider abmontiert und damit bedauerlicherweise verloren gegangen. Außerdem habe ich ziemlich viel Architektur gezeichnet.“ Die Zeichnung AÖMV/4.246 zeigt einen kutzowalachischen Webstuhl wie auf S. 135 abgebildet.

Eine erste Präsentation von Forstners Zeichnungen fand im Jänner 1918 während der Ausstellung „Zur Volkskunde der besetzten Balkangebiete“ im großen Festsaal der Universität Wien statt, die vom Volkskundemuseum mit Unterstützung der Orientabteilung des k. u. k. Kriegsministeriums veranstaltet wurde. Kritiker wie Hartwig Fischel lobten Forstners Bilder: „Seine klaren und reizvollen, sachlich und künstlerisch so befriedigenden Darstellungen der volkstümlichen Bauweise, der wichtigen Einzelheiten volkskundlich interessanter Arbeitsprozesse, der Kostüme und Typen lassen den geübten Blick und die sichere Hand eines Künstlers erkennen, der seiner Ziele sicher ist und sein Material beherrscht.“ (Fischel 1918: 69) Eine in der Zeitschrift für österreichische Volkskunde angekündigte Kunstmappe, die die Zeichnungen Forstners einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen sollte, wurde allerdings nicht verwirklicht. Abermals gezeigt wurden Zeichnungen aus Albanien und Mazedonien in der Frühjahrsausstellung der Wiener Secession 1920, wobei sich hier aufgrund des knapp gehaltenen Katalogeintrags nicht endgültig klären ließ, ob auch Blätter des Volkskundemuseums Teil der Schau waren (Vereinigung Bildender Künstler 1920: Katalognr. 143). Hartwig Fischel lobte wiederum die „klaren reizvollen Zeichnungen, mit denen Forstner die mazedonische und albanische Welt zu schildern unternahm. Sie geben dem Freund des Orients ein ungemein klares und lebendiges Bild vom malerischen Reiz der östlichen Bauwelt.“ (Fischel 1920: 67-68) In Folge kamen die Zeichnungen in der Schausammlung des am Standort Laudongasse am 26. Juni 1920 wiedereröffneten Museums für Volkskunde zur Aufstellung. Raum IX im Erdgeschoß zeigte unter dem Titel „Europäische Vergleichssammlung“ den Ausschnitt der südslawischen Sammlungen: „[…] die teilweise farbigen Handzeichnungen in den Fensternischen von der Künstlerhand Leopold Forstners stellen Volkstypen und Volkstrachten sowie die typischen Haus- und Wohnungsformen, endlich Arbeitsgeräte (Webstühle) und dergleichen aus Albanien, Montenegro und Serbien dar.“ (Haberlandt 1921: 37) Weitere Blätter mit Trachten aus Albanien hingen im Raum XI Albanien. Diese langjährige Präsentation unter unsachgemäßen konservatorischen Bedingungen (die Zeichnungen sind auch im 1930 neu aufgelegten Museumsführer erwähnt) erklärt, warum ein Teil der Zeichnungen derart stark gegilbt bzw. gebräunt ist.

Ungedruckte Quellen:

Archiv des Österreichischen Museums für Volkskunde, Sammlungsdokumentation:

Herkunftsakt Inventarnummern AÖMV/4.243-4.254, AÖMV/8.085-8.101

Herkunftsakt Inventarnummern ÖMV/35.815-35.861, ÖMV/36.072-36.227, ÖMV/36.504-36.525

Literatur:

Bauer, Martina. 30.11.2015. Forstner, Leopold (1878-1936), Maler und Kunstgewerbler. In ÖBL Online-Edition, Lfg. 4.

Fischel, Hartwig. 1918. Ausstellung zur Volkskunde der besetzten Balkangebiete. In Kunst und Kunsthandwerk 21: S. 69.

Fischel, Hartwig. 1920. Sezession. In Kunst und Kunsthandwerk 23: S. 67-68.

Forstner, Leopold. 1918. Studien in Albanien und Mazedonien. In Kunst und Kunsthandwerk 21: S. 349-358.

Haberlandt, Arthur. 1917. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Volkskunde von Montenegro, Albanien und Serbien. Ergebnisse einer Forschungsreise in den von den k. u. k. Truppen besetzten Gebieten. Sommer 1916. Wien: Verlag des Vereines für österreichische Volkskunde.

Haberlandt, Arthur. 1930. Führer durch das Museum für Volkskunde. Wien: Verlag des Vereines für Volkskunde.

Haberlandt, Michael. 1921. Führer durch das Museum für Volkskunde. Wien: Verlag des Vereines für Volkskunde.

Marchetti, Christian. 2013. Balkanexpedition. Die Kriegserfahrung der österreichischen Volkskunde – eine historisch-ethnographische Erkundung. Tübingen: Tübinger Vereinigung für Volkskunde.

Mrazek, Wilhelm. 1981. Leopold Forstner. Ein Maler und Material-Künstler des Wiener Jugendstils. Wien: Belvedere Verlag A. Hadwiger.

o.A. 1917. Ausstellung des Kaiser Karl-Museums „Zur Volkskunde der besetzten Balkangebiete“. In Zeitschrift für österreichische Volkskunde 23: S. 132.

o.A. 1918a. Volkskundliche Ausstellung des Kaiser Karl-Museums aus den besetzten Balkangebieten. In Zeitschrift für österreichische Volkskunde 24: S. 52-53.

o.A. 1918b. Museumsbericht für das erste Vierteljahr 1918. In Zeitschrift für österreichische Volkskunde 24: S. 79-80.

Vereinigung Bildender Künstler. 1920. LVII. Ausstellung der Wiener Secession April – Juli 1920. Wien: Secession.

Kurzbiografie Leopold Forstner:

2.11.1878 geboren in Leonfelden, Oberösterreich

1885 – 1898 Volksschule in Leonfelden, Bürgerschule in Linz, Staatshandwerksschule in Linz, Lehre an der Tiroler Glasmalerei- und Mosaikanstalt in Innsbruck

1899 – 1902 k. k. Kunstgewerbeschule des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie in Wien, figurale Malerei bei Karl Karger und Malerei bei Koloman Moser

1902 – 1903 Studium an der königlich-bayrischen Akademie der bildenden Künste in München bei Ludwig Herterich

ab 1902 Tätigkeit als Zeichner, Grafiker und Illustrator

1908 Gründung der Wiener Mosaikwerkstätte

18.1.1911 Heirat mit Stephanie Stöger in Stockerau, Niederösterreich

1915 Einberufung zum Kriegsdienst, 1916 – 1918 Sammeloffizier im Rang eines Fähnrichs

1919 Übersiedlung nach Stockerau

1920 Gründung der Werkstätte zur Erzeugung und Verarbeitung von Edelglas G.m.b.H. in Stockerau

1921 Umwandlung des Betriebs in die Österreichische Edelglaswerke AG

1925 Ausstieg aus dem Unternehmen

ab 1927 Fachberater des Gewerbeförderungsamtes der niederösterreichischen Landesregierung

1929 – 1936 Unterricht am Bundesgymnasium Hollabrunn, Niederösterreich in den Fächern Freihandzeichnen und Handfertigkeit

5.11.1936 gestorben in Stockerau

Elisabeth Egger, Dezember 2015